Recht auf Stadt Demo am 7. Juli 2012 – Redebeitrag Wagenplätze& graswurzel film

Hier einige Eindrücke von der Demo am vergangenen Samstag: http://graswurzel.tv/p211.html und für die Archive auch gleich noch unsere vollständige Rede, von der im Film einige Ausschnitte zu hören sind:

Ich spreche hier auf der Recht auf Stadt Demo in Lüneburg als eine Vertreterin der Bewohner*innen der Bauwagenplätze am Ebelingweg und auf Gut Wienebüttel, wo ich selbst lebe. Dieser Redebeitrag ist in Zusammenarbeit mit einigen Bewohner*innen beider Plätze entstanden.
rechtaufstadt
Jüngste Beispiele der Verdrängung von Menschen in selbstorganisierten und gemeinschaftlichen Strukturen in Lüneburg zugunsten von pompösen, überdimensionierten und undurchsichtigen Bauvorhaben gibt es zur Genüge.

An dieser Stelle sollen einige benannt werden, um die es in anderen Redebeiträgen mit Sicherheit detailierter gehen wird:
– der fortschreitende Abriss und die Räumungen in der Frommestraße,
– die angedrohte Räumung der Cafhete im Roten Feld,
– der bevorstehende Verkauf der Gebäude der Musikschule für kommerzielle Nutzung, 
– das fast-Verplanen des Böllhauses mit seinen jetzigen Initiativen, was zum Glück verhindert werden konnte,
– die bevorstehenden Prunkbauten auf dem Campusgelände,
– die Planung von überteuerten Eigentumswohnungen im Umfeld der Nordlandhalle,
– die Zerstörung von Natur & Wagenplatz am Meisterweg,
– der langjährige Leerstand mancher Gebäude und das Verfallen-Lassen von Bausubstanz und Lebensraum
– und auch das Fehlen einer Baumschutzsatzung in dieser Stadt, durch die schon manch alter Baum zugunsten von Bauvorhaben weichen musste.

Das sind nur einige Beispiele, die eine deutliche Sprache sprechen: Der Mainstream der Stadtpolitik hat wenig Interesse an nicht-kommerziellen, selbstorganisierten Projekten und Initiativen, sobald diese einer markttauglicheren Option im Wege stehen. Geldbeutel und Vermarktung entscheiden, wer sich wo, wie in Lüneburg niederlassen kann.
Dagegen sprechen wir uns aus!

Auf dieser Demo geht es u.a. darum, mehr Raum und Akzeptanz für alternative Wohn- & Lebensformen zu fordern bzw. zu schaffen und auf bestehende Missverhältnisse hinzuweisen. Kleinfamilie und Ehe sind nur zwei von vielen Lebensmodellen. Sie sind viel gelebt, aber das spricht nicht unbedingt für ihr gutes Funktionieren, sondern vielmehr für die gesetzlichen und strukturellen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft. Die Veränderung dessen zeigt sich in dem wachsenden Bedarf in größeren oder anderen Zusammenhängen zu leben, sei es in Hausprojekten, Wohngemeinschaften oder anderen gemeinschaftlichen Formen, mit dem Ziel einer funktionierenden, selbstgewählten und selbstgestalteten Sozialstruktur und gegenseitiger Verantwortung.

Teil dieser Lebensentwürfe sind Wagenplätze:

In der jüngeren Lüneburger Stadtgeschichte der letzten 20 Jahre gehören Wagenplätze quasi zur „Normalität“. Diese Normalität schlägt sich hin und wieder nieder in einer recht positiven, lokalen Presse und regem Interesse von Spaziergänger*innen, die vorbei kommen oder großem Zulauf bei Feierlichkeiten. 

Wagenleben ist keine „Notlösung“ sondern eine bewusste Entscheidung  – aus verschiedenen Gründen, die hier nur angedeutet werden können:
– Wagenleben bietet größere Freiheit der Gestaltung des eigenen Wohn- und Lebensraumes – Wo sonst kann das Zuhause einfach mitgenommen werden?
– Es bedeutet  eine Gemeinschaft, die sich zwischen Nachbarschaft, Mitbewohner*innen und Freundschaft bewegt.
– Wagenleben lässt Raum für Individualität, ermöglicht aber gleichzeitig Verbindlichkeit und gegenseitige Verantwortung.
– Wagenleben bedeutet auch verantwortlichen Umgang mit Ressourcen und Naturnähe
– Es bedeutet ein tolles Umfeld für Kinder.
– Es bedeutet weniger Geld in die Miete stecken zu wollen & zu müssen, dafür zwar mehr Aufwand im Alltag zu haben, aber auch einen Zugewinn an Lebensqualität.

Auf der anderen Seite der Medaille stehen jedoch rechtliche Hürden. Wägen stehen oft prekär, weil Stellplätze häufig auf Duldungsregelungen basieren. Was fehlt ist eine verbindliche, gesetzliche Grundlage, die es ermöglicht im Wagen zu leben – egal ob als Einzelstellplatz, in Vorgärten und Hinterhöfen oder auf Wagenplätzen – im Grünen oder in der Stadt. 

Der Wagenplatz Gut Wienebüttel befindet sich auf dem privaten Gelände eines Spezialpflegezentrums, und zwar geduldet – seit ca 20 Jahren. Diese Situation kam zwischen 1992 bis 1994 unter Hinzuziehung des Stadtrates zu Stande und wurde mündlich mit den damaligen Investoren des Guts vereinbart.
unser transpi
Mittlerweile haben wir einige Insolvenzen und Besitzerwechsel überlebt, an unserer Situation änderte sich lange nichts. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es erstmalig so, dass vom neuen Geschäftsführer zukünftige Bauvorhaben mündlich erwähnt wurden – ohne offizielle Schreiben oder weitergehende Informationen, trotz Nachfrage. Der Wagenplatz ist den Gerüchten zufolge nicht direkt von den Bauvorhaben betroffen, doch der zugehörige neue Park würde auf dem Gelände unseres Wagenplatzes entstehen. Dafür sollen wir dann weichen? Sollen wir? Müssen wir? Immerhin geht es um den Lebensraum von fast 20 Personen. Wir hoffen nein. Bisher kommen die Leute auch so zum Spazierengehen in unser großes „Waldwohnzimmer“.  So schön wie ein Park ist der Platz allemal!

Nach Gesprächen mit Ämtern der Stadt Lüneburg im letzten Jahr gibt es noch keine Anträge für größere Bauvorhaben. Die aktuelle Antragssituation kennen wir nicht. Wir sind gespannt, wie transparent die Vorgänge sein werden, da der bestehende Flächennutzungs- und Bebauungsplan keinerlei Ausweitung vorsieht. Wir werden es sehen.

An dieser Stelle laden wir euch ein, uns auf unserem diesjährigen Sommerfest  und gleichzeitig 18&20jährigen Geburtstag am 17. und 18. August zu besuchen, euch selbst ein Bild zu machen und mit uns zu feiern!

Ganz anders gestaltet sich die Situation auf dem Wagenplatz am Ebelingweg. Anfang 2010 gründete sich der Verein Lebenswagen angesichts der Räumungen der Wagenplätze Meisterweg und der Uelzener Straße. Er trat mit der Stadt Lüneburg in Verhandlungen für einen neuen Wagenplatz. Nach relativ kurzer Zeit wurde ein 10jähriger, offizieller, behördlich genehmigter Pachtvertrag für ein Gelände am Rande der Stadt abgeschlossen. Der Flächennutzungsplan ist geändert worden, der Bauantrag läuft. Das ist relativ ungewöhnlich. Mittlerweile leben um die 30 Personen auf dem erschlossenen Gelände.

Bedeutet das, wir können  froh sein, weil es diesen neuen Wagenplatz ganz offiziell gibt? Wir sind uns nicht sicher. Denn es stellt sich die Frage, ob so ein Projekt von der Stadt Lüneburg nicht auch instrumentalisiert wird, da es dem Image der studentischen, aufstrebenden, offenen, bunten, toleranten, sich auf der Höhe der generationsübergreifenden, ökologischen Zeit befindenden Superstadt dienlich ist.

Dennoch spricht es auch für die Stadt, dass der neue Wagenplatz entstehen konnte. Aber wir denken ein erheblicher Faktor dabei war der lange Atem der Gründer*innen, so dass nach langwieriger Grundstückssuche letztlich eine behördlich genehmigte Lösung gefunden wurde. Und nur so konnten von Seiten der Stadt massive Auseinandersetzungen durch Räumung vermieden werden, denn damals wurden schließlich auch 2 Wagenplätze eingestampft. Davon wohnen einige Menschen zwangsweise nicht mehr im Wagen oder in Lüneburg.

Wir wünschen uns eine größere Normalität für das Nutzungsmodell von Flächen als „Wagenplatz“! Wir kritisieren die immerwährende Unsicherheit auf Grund der Duldungssituation auf Wienebüttel und wünschen uns langfristige Lösungen und eine Vereinfachung der Prozedere, um Wagenplätze auf die Beine bzw. auf die Räder zu stellen. Den stetigen Anfragen auf beiden Wagenplätzen nach zu urteilen, ist der Bedarf an Stellplätzen weitaus größer als der Bestand. Vor diesen Realitäten können Städte, ihre Behörden und auch Bewohner*innen, die Augen nicht verschließen. Es sollte mehr Wagenplätze geben!  Wir hoffen, dass die Stadt Lüneburg dem weiterhin offen gegenübersteht.

Wir wünschen uns eine Stadtpolitik, die nicht ausgerichtet ist an Konsum, Verwertbarkeit und Leistung. Wir wünschen uns eine Stadtpolitik, die für und mit allen Menschen agiert, die hier leben. Wir verurteilen den Filz, in dem Bauverträge und -anträge Realität werden, wo die Zuständigen ohne Einbeziehung der Betroffenen selbstherrlich ihres Amtes walten. 

Wir erklären uns solidarisch mit den Menschen in der Frommestraße und in der Cafhete!

Für viele Frommestraßen! Für mehr Wagenplätze und kollektive Wohnformen! Wohnraum ist Menschenrecht! Für Freiräume statt Leerstand! Für eine bunte Stadt der Vielen!

Dankeschön.